
10. Mai 2025
„Wir hatten Todesangst!“
Retter berichten von Beleidigungen und Gewalt

Sie berichteten von ihren schlimmen Erlebnissen im Einsatz: Polizeioberkommissar Marian Lotz (28) von der Polizeistation Fulda und Notfallsanitäter Cedric Schulz (24) vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Fulda. Hass, Gewalt und Beleidigungen gehören – leider – zum Alltag der Einsatzkräfte. Häufig sind es verbale Entgleisungen und Attacken, aber auch Faustschläge sind im Repertoire der gewaltbereiten Personen. Die Blaulicht-Familie ist besorgt und will das Thema in die Mitte der Gesellschaft rücken.

„Ich bring dich um, hat ein Mann zu meinem jungen Kollegen gesagt, als er ihm tief in die Augen schaut. Da bekommt man Angst – und das vergisst man auch nicht“, sagte Notfallsanitäter Cedric Schulz in einem Impulsvortrag und erklärte weiter: „Das war ein einschneidendes Erlebnis, das einen brandmarkt“. Diese unfassbare Situation entwickelte sich bei einem Routine-Einsatz des Rettungsdienstes im Stadtgebiet von Fulda. Schulz und sein Kollege hatten sich im Behandlungsraum ihres Rettungswagens eingeschlossen, der Mann gelang allerdings in das Fahrerhaus und polterte los. Der Rettungswagen wurde dabei massiv beschädigt, die Besatzung hatte Todesangst. Schnell war die Polizei vor Ort, um den Mann schließlich festzunehmen. Und Polizist Marian Lotz meinte: „Der Respekt fehlt vielen. Begriffe wie ‚Bulle‘, und andere, die ich hier nicht nennen möchte“, stehen auf der Tagesordnung. Eine klare Tendenz in die falsche Richtung.
Dabei wollen Marian, Cedric und all die anderen Kräfte der Hilfs- und Rettungsorganisationen doch einfach nur helfen. Und das Tag und Nacht, an 365 Tagen im Jahr. Vielfach sind die Menschen in Not sehr dankbar und froh, dass ihnen geholfen wird. Doch die negativen Erlebnisse sind schockierend und machen fassungslos.
Innenminister Poseck beim Netzwerkabend von DRK und O|N
„Es ist eine schreckliche Entwicklung. Jeder Übergriff ist einer zu viel. Wir müssen die schützen, die uns schützen“, sagte Hessens Innenminister Prof. Dr. Roman Poseck (CDU) am Freitagabend beim Netzwerkabend „Einsatz verdient Respekt!“ und forderte Knast für jeden, der Rettungskräfte angreift. Das DRK Fulda und das reichweitenstarke Online-Nachrichtenportal OSTHESSEN|NEWS hatten zu diesem Austausch ins Deutsche Feuerwehr-Museum eingeladen.
„Gemeinsam mit O|N als starkem und für die Blaulicht-Familie verlässlichen Medienpartner ist die Idee entstanden, am Freitag – einen Tag vor dem großen Blaulicht-Aktionstag auf dem Uniplatz in Fulda – einen Abend zu veranstalten, bei dem es um diejenigen geht, die für uns da sind“, sagte DRK-Präsidentin Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg in ihre Begrüßung zu den rund 120 geladenen Gästen. Im Publikum befanden sich hochrangige Gäste aus Politik, Justiz und Kirche, von Polizei, Kliniken, Behörden und Organisationen.
Schenck zu Schweinsberg machte klar: „Polizisten, Rettungskräfte, Feuerwehrleute, Notärzte, Kameraden vom Technischen Hilfswerk und aus den Hilfsorganisationen DRK, Malteser und DLRG, ob Haupt- oder Ehrenamt – sie sind immer für uns da. Und dafür verdienen sie höchste Anerkennung, Solidarität, Respekt und Wertschätzung. Das möchten wir heute deutlich machen. Doch leider kommt es immer häufiger auch zu Angriffen, Beschimpfungen und auch Gewalt gegen Einsatzkräfte. Das verurteile ich scharf. Solche Angriffe sind feige, abscheulich und absolut nicht hinnehmbar.“
Body-Cams zeigen Gewalt gegenüber Polizisten
Bevor der Innenminister und Spitzenvertreter der heimischen Rettungs- und Hilfsorganisationen sich den Fragen von O|N-Chefredakteur Christian P. Stadtfeld in einer Podiumsdiskussion stellten, bekamen die anwesenden Mitglieder der Blaulicht-Familie eindrücklich gezeigt, was sich auf der Straße abspielt. Die Polizei Osthessen stellte dafür Body-Cam-Aufnahmen aus dem Jahr 2021 zur Verfügung. Aber auch die Schilderungen von Marian Lotz und Cedric Schulz machten deutlich: Respektlosigkeit und Gewalt sind auch in Osthessen ein ernstes Thema!
Innenminister Poseck will hart durchgreifen: „Wer Einsatzkräfte angreift, gehört ins Gefängnis.“ Die Spitzenvertreter der Organisationen machten sich Gedanken darüber, worin die Gründe für diese Gewaltbereitschaft liegen. Osthessens Polizeipräsident Michael Tegethoff erklärte, dass diese Vorfälle keiner bestimmten Gruppierung, Nationalität oder Altersklasse zugeordnet werden könnten. Allerdings betonte der heimische Polizei-Chef, der für die Sicherheit von fast 500.000 Menschen verantwortlich ist, auch: „Respektlosigkeiten sind alltäglich.“
Heinz Peter Salentin, Geschäftsbereichsleiter Rettungsdienst beim DRK Fulda, appellierte an die Gesellschaft: „Lassen Sie uns unseren Job machen – wir sind gut ausgebildet und wissen, was wir tun.“ Der Rettungsdienst sei bereits an der Belastungsgrenze, am Gesundheitssystem müsse sich etwas ändern. Er erinnerte aber auch an die Dankbarkeit der Menschen, etwa während der Corona-Virus-Pandemie. „So ein Verständnis wäre auch heute wünschenswert.“
Egoismus und mangelndes Verständnis
Die Wertschätzung der Menschen beobachtet auch der Fuldaer Feuerwehr-Chef, Branddirektor Thomas Helmer. Zum Glück sind die Frauen und Männer der Feuerwehr Fulda bislang von Gewalt gegenüber den Einsatzkräften verschont geblieben. Gleichwohl sei auch die Veränderung der Gesellschaft hin zu Egoismus und mangelndem Verständnis gegenüber den notwendigen Einsatzmaßnahmen spürbar. Helmer machte klar, dass trotzdem nicht alles schlecht sei und die positiven Aspekte für die Nachwuchsgewinnung und die Mitarbeit in den Hilfs- und Rettungsorganisationen ebenso wichtig seien. „Unsere Ehrenamtlichen brauchen Rückhalt. Wie sollen wir sonst welche für die Zukunft gewinnen.“
Der Netzwerkabend brachte die Hilfs- und Rettungsorganisationen zusammen. Der Austausch ist wichtig, um zum Beispiel gemeinsame Ideen zu entwickeln. Ein Aspekt ist, die Thematik in die Gesellschaft zu bringen, darüber zu sprechen. Gerade junge Leute sollten etwa im Schulunterricht besser für die Arbeit der Retter sensibilisiert werden. Ein respektvoller Umgang und das Verständnis für die Menschen mit Einsatzklamotten gehörten im Idealfall auf die Unterrichtspläne. „Auch die Medien sind gefragt. Sie sind unverzichtbarer Teil der Gesellschaft“, betonte Stadtfeld.
„Wir brauchen ein Maßnahmenbündel“
Innenminister Poseck sagte: „Wir brauchen ein Maßnahmenbündel, nicht nur eine Stellschraube.“ Die Gäste des Netzwerkabends tauschten sich nach dem offiziellen Teil bei gegrillten Würstchen und ein, zwei Getränken aus und waren sich einig: Trotz aller gesellschaftlichen Herausforderungen gilt bei Gewalt gegen Einsatzkräfte: Null Verständnis, Null Toleranz. „Hinter jeder Uniform oder Einsatzjacke steckt ein Mensch. Denken Sie immer daran: Die Männer und Frauen wollen einfach nur helfen. Es darf einfach nicht sein, dass sie dabei Angst haben müssen, selbst in Not zu geraten.“
Sehen Sie zu diesem Thema unseren Videobeitrag und die Bilder vom Netzwerkabend von O|N-Fotografin Carina Jirsch. (Hans-Hubertus Braune)
Video / Bilder osthessen-news.de/wir-hatten-todesangst-retter-berichten