13.01.2023
Sprache, Fußball und eine Perspektive:
So hat sich Jehad (21) integriert
Jehad Abed Alrahman fühlt sich in Oberaula wohl – Fotos: Hans-Hubertus Braune
OBERAULA – Ein Beispiel für gelungene Integration ist Jehad Abed Alrahman. Der junge Mann stammt aus einer Hafenstadt im Westen von Syrien. „Als der Krieg begann, war ich zehn Jahre alt. Unser Haus wurde zerstört, wir hatten gar nichts, kein Essen im Kühlschrank“, erzählt der junge Mann.
Wir treffen uns an einem tristen Samstagnachmittag auf dem Sportplatz in Oberaula (Schwalm-Eder-Kreis). Ich kenne Jehad seit knapp fünf Jahren. Damals kam er zu uns ins Training der A-Junioren. Er wolle gerne mittrainieren. Ja klar, kein Problem, er ist willkommen. Die Kommunikation ist zunächst schwierig. „Ich kam 2018 nach Oberaula. Hauptgrund war der Krieg, ein heftiger Krieg, sehr schrecklich“, sagt Jehad heute. Er möchte nicht gerne darüber reden. „Das sind schreckliche Erlebnisse“.
Das Fußballtraining ist häufig an anderen Orten in der Region. Trotzdem ist Jehad fast immer dabei und wird Teil der erfolgreichen A-Juniorenmannschaft beim JFV Aulatal. Mitspieler, Trainer oder wir Betreuer holen ihn ab oder fahren ihn nach dem Training heim. Gelebte Integration – so wie in vielen Vereinen. „Mich in einer Mannschaft anzumelden, war mir wichtig und hat mir sehr geholfen. Als ich herkam, kannte ich niemanden. Ich fühlte mich einsam, auch wegen der Sprache“, erzählt der junge Mann. „Das war ein Hindernis und auch die Angst, dass man nicht akzeptiert wird“, sagt Jehad. Und: „Wenn man die Sprache kann, spielt die Herkunft überhaupt keine Rolle, in der Jugend sowieso nicht, wir haben die gleiche Denkweise.“
Mittlerweile spricht Jehad fließend Deutsch. „Das war ein sehr wichtiger Punkt. Ich wollte das unbedingt, um in der Schule gute Zeugnisse zu bekommen, um einen Job zu finden und um mehr Menschen kennenzulernen und Spaß zu haben im Leben“, sagt Jehad. Mit dem Bus in die Schule, etwa nach Treysa – selbstverständlich. Jehad macht zunächst den Hauptschulabschluss, es folgt der Realabschluss. „Die Fachoberschule habe ich leider abgebrochen, weil ich eine Ausbildung begonnen habe“, sagt der angehende Fachinformatiker des Onlinebuchhändlers Libri in Bad Hersfeld. „Man muss ein Ziel haben im Leben“: Nach der Ausbildung will er vielleicht studieren, „wenn ich Bock habe, noch mehr zu lernen.“
In Sachen Fußball kickt Jehad inzwischen bei den Senioren der SG Aulatal. „Es ist eigentlich die beste Entscheidung, hier zu sein. Man wird akzeptiert und respektiert. Das ist mir auch sehr wichtig als Mensch. Fußball macht mir sehr viel Spaß. Ich freue mich auf die Zukunft, und vielleicht besser zu werden. Egal ob erste Mannschaft in der Gruppenliga oder zweite Mannschaft in der Kreisliga“, sagt der 21-jährige Syrer.
Abteilungsleiter Max Schuch: „Er ist einfach einer von uns“
Jubel mit den Mannschaftskameraden der SG Aulatal
Fußball-Abteilungsleiter Max Schuch sagt: „Wir sollten auf keinen Fall alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren, da wir die Zuwanderung für den Wohlstand aller benötigen und die Diversität unser Land bereichert. Ein Beispiel dafür ist sicherlich unser Jehad, von uns auch liebevoll Gerhard genannt. Jehad hat sich von Beginn an ins Vereinsleben integriert und ist aktuell Leistungsträger mit den meisten Einsatzminuten in der 2. Mannschaft. Bei ihm fällt es nicht mehr auf, dass er ein Flüchtling ist, er ist viel mehr einer von uns. Hilfreich ist dabei sicherlich, dass Jehad super Deutsch spricht und damit keine Barriere in der Kommunikation besteht.“
Interessant ist der Blick des jungen Mannes aus Syrien auf die Unterschiede hier und in seiner ehemaligen Heimat. „Ich komme aus der dritten Welt. Das Leben hier ist ganz anders. In Syrien haben die Menschen keine Zukunft. Die Leute leben dort ohne ein Ziel. Hier gibt hier kaum Probleme, kaum Sorgen. Jeder kann seine Zukunft aufbauen und arbeiten, wo er will. Man kann alles schaffen, es ist alles möglich“, sieht der junge Mann für sich und seine Familie eine Perspektive.
„Ich verstehe nicht, dass man das macht“
Und doch bewegt ihn die Diskussion der vergangenen Tage. Die Gewalt in der Nacht zu Neujahr habe er im Fernsehen gesehen. Wie er das findet? „Scheiße, was passiert ist. Schlimm. Ich verstehe nicht, dass man das macht“, sagt Jehad. Aber er kritisiert auch die Medien, die übertreiben würden. „Ich denke, es gibt in jeder Gesellschaft gewalttätige Personen und wir dürfen nicht eine gesamte Gesellschaft als gewalttätig bezeichnen, wenn eine Person gewalttätig ist“, sagt der junge Mann und sieht zwei Probleme. Zum einen die Leute mit Migrationshintergrund, die sich nicht an die Regeln halten können, egal woher. Das andere Problem sei der Rassismus. Ob härtere Strafen sinnvoll sind? „Vielleicht, oder auch nicht“, sagt Jehad. Ein Böllerverbot findet er nicht verkehrt, auch aus Umweltschutzgründen und wegen dem Tierschutz. „Wir sind nicht allein auf der Welt“, sagt er. Wichtig ist für ihn, dass jeder Mensch einzeln gesehen wird.
Vielleicht helfen bessere Programme, eine bessere Integration und ihnen zu zeigen, dass sie eine Perspektive haben. Es sei gar nicht so einfach, in ein fremdes Land zu gehen. „Es ist sehr, sehr schwierig“, sagt Jehad. Er selbst war mit der Betreuung schon zufrieden, es habe aber alles viel zu lange gedauert. „Aber es waren ja auch viele Menschen, die gekommen sind und viel Arbeit“, sagt er über die Behörden und will sich nicht beschweren.
„Oberaula ist ein Teil von mir geworden“
Bald ist wieder Betrieb auf dem Sportplatz in Oberaula. Nach der Winterpause geht das Training los. Ich finde es beeindruckend, wie sich Jehad entwickelt hat. Damals vor rund fünf Jahren schüchtern und fast schon ein wenig ängstlich. Aber vom ersten Tag an freundlich und dankbar. Heute ist er ein junger, selbstbewusster Mann. Ein Mensch mit Migrationshintergrund, mit Wünschen und Zielen. „Oberaula ist ein Teil von mir geworden. Mir gefällt die familiäre Atmosphäre. Jeder kennt jeden. Ich bin hier zufrieden.“ Sein Beispiel zeigt, dass eine viel zu pauschale Sichtweise keinesfalls zielführend ist. (Hans-Hubertus Braune)